Das Ernst-Barlach-Theater in Güstrow

Die Güstrower und ihr Ernst-Barlach-Theater

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Diesen Artikel habe ich im Rahmen meiner Ausbildung zur Journalistin am Deutschen Journalistenkolleg (Sitz in Berlin) im Februar 2022 geschrieben. Der Beitrag über das Ernst-Barlach-Theater in Güstrow ist meine Abschlussarbeit.

Mitten in der Pandemie hat Johanna Sandberg ihre neue Arbeit begonnen. Seit Januar 2021 ist sie Intendantin des Ernst-Barlach-Theaters. Seitdem war das Theater mit seiner klassizistischen Fassade und den hellgrauen Fensterläden jedoch nur drei Monate lang geöffnet. Die Intendantin bedauert das sehr, ist es ihr doch ein Anliegen, mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen. Denn gerade das Publikum war einer der Gründe für ihre Bewerbung. „Mich fasziniert, wie verbunden sich die Menschen mit ihrem Theater fühlen“, erzählt Johanna Sandberg.

50er Jahre Charme

Während die Intendantin durch das verwinkelte Theatergebäude geht, weist sie auf die Besonderheiten des Theaters hin. Vieles im Innenbereich des Theaters stammt noch aus den großen Umbauarbeiten, die Mitte der 1950er Jahre gemacht wurden. Nicht nur die Deckenlampen aus DDR-Zeiten verströmen eine behagliche Atmosphäre. Ein besonderer Blickfang ist das opulente Deckengemälde der Malerin Vera Kopetz an der Mitteltreppe. Auch die Mosaiksäulen im Foyer stammen von der Künstlerin, erzählt Johanna Sandberg.

Während sie von der Bühne in den Saal blickt, erklärt die Intendantin, dass die gesamte Theaterarbeit von vier festangestellten Mitarbeitern gestemmt wird. Große Unterstützung erhält das Ernst-Barlach-Theater aber auch von den Mitgliedern des Theaterfördervereins.

Ein Verein gegen die Unsicherheit

Der Theaterförderverein, das sind die derzeit 50 Mitglieder des „Vereins der Freunde und Förderer des Ernst-Barlach-Theaters e. V.“, der im Dezember 1998 gründetet wurde. Von Anfang an dabei ist Heidemarie Beyer. Angesprochen auf den Grund der Vereinsgründung erzählt sie, dass es immer wieder große Unsicherheit bezüglich der Zukunft des Theaters gegeben hat. „Kultur gehört eben nicht zur Pflichtaufgabe“, fügt Heidemarie Beyer, die seit 2012 Vorsitzendes des Vereins ist, hinzu. Gemeinsam mit dem Verein setzt sich Heidemarie Beyer unermüdlich für das Theater ein. „Es gibt so viele spannende und berührende Geschichten, die von Mut, einem starken Bürgerwillen und bürgerschaftlichen Engagement zeugen“, so die Vorsitzende. Wie die eines Touristen aus dem Allgäu, der von der Atmosphäre und von dem vielfältigen Programm so angetan war, dass er seitdem regelmäßig Geld spendet.

Ein Blick in die Vergangenheit

Auch aus früheren Zeiten weiß die 73-jährige viel zu erzählen. Viele Krisen hat das Theater erlebt, aber die theaterbegeisterten Menschen aus Güstrow und Umgebung haben stets für seinen Erhalt gekämpft. So berichtet die Vereinsvorsitzende davon, wie bereits wenige Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges das Theater wieder öffnete. Güstrow hatte den Krieg weitgehend unzerstört überstanden. Ebenso das Theater, das wie alle Theater und Konzertsäle in Deutschland seit September 1944 geschlossen geblieben war. Lediglich die Innenräume waren für die Aufnahme von Flüchtlingen umgebaut worden.

Im Stadtarchiv von Güstrow finden sich weitere Details: Hans Warscycek, der 1945 Bürgermeister von Güstrow und Leiter des Amtes für Volksbildung und Kultur war, beauftragte am 17. Mai 1945 den Bühnenbildner Otto Kähler damit, das Theater bespielbar zu machen. Kähler übernahm die Leitung des Theaters und stellte ein Schauspielensemble sowie ein Orchester zusammen. Um aus dem Flüchtlingsheim wieder ein Theater zu machen, packten alle mit an – vom Schauspieler bis zum Bühnenarbeiter. Die erste Vorstellung fand am 20. Mai 1945 statt. Damit war es die erste norddeutsche Bühne, die ihre Türen wieder für das Publikum öffnen konnte.

Das Ernst-Barlach-Theater in Güstrow

Ein weiteres Dokument im Stadtarchiv belegt, wie bereits 13 Jahre zuvor theaterbegeisterte Menschen mit Schrubber und Hammer dafür gesorgt hatten, dass es mit der Kultur in Güstrow wieder aufwärts geht. Die Laienschauspieler der 1932 gegründeten Niederdeutschen Bühne nahmen sich im August 1933 des durch die Weltwirtschaftskrise geschlossenen Theaters an. In vielen Stunden freiwilliger Arbeit renovierten die Mitglieder den gesamten Innenbereich des Theaters. Fünf Jahre wurde das Theater durch die Niederdeutsche Bühne verwaltet. Die Schauspieler, die lediglich in ihrer Freizeit proben und spielen konnten, brachten durchschnittlich 110 Aufführungen im Jahr auf die Bühne. Das bedeutete, dass die Laiendarsteller neben ihrem Brotjob jährlich um die 990 Stunden zusätzlich für das Theater investierten. Ohne Begeisterung für ihr Theater wäre das nicht möglich gewesen.

Ein anspruchsvoller Spielplan

Weder Schrubber noch Hammer helfen allerdings in der derzeitigen Pandemie. Kein Güstrower, sollte er auch noch so theaterbegeistert sein, kann das Virus vertreiben. Die Veranstaltungen der letzten Monate wurden alle abgesagt oder verschoben. Für März stehen unter anderem Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt, das Kindermusical Der Tag, an dem der Regen wiederkam von Michael Meiners und Rose Bernd von Gerhart Hauptmann auf dem Spielplan. Die Chancen stehen gut, das sich der Vorhang dann öffnen darf. Vor Corona lockte das Ernst-Barlach-Theater jährlich um die 30.000 Besucher an und finanzierte sein Programm fast nur durch den Verkauf der Eintrittskarten. „Das hat kein anderes Theater“, stellt Heidemarie Beyer stolz fest.

Was hat dieses kleine Theater an sich, dass sich so viele Menschen für es begeistern? Während eines Markttages auf das Ernst-Barlach-Theater angesprochen, geraten viele Einwohner Güstrows und der Region ins Schwärmen. Eine Verkäuferin erzählt, dass sie oft mit ihren Kindern die Märchenaufführungen besucht und fügt hinzu: „Es hat so eine tolle Atmosphäre“. Ein älterer Mann schwärmt von der eindrucksvollen Fassade, woraufhin seine Frau ergänzt: „Aber auch von innen ist es wunderschön.“ Doch nur an der tollen Atmosphäre kann es nicht liegen, dass das Ernst-Barlach-Theater so beliebt ist. Eine ältere Dame freut sich darüber, dass die Aufführungen „immer sehr vielseitig“ seien. Sie gehe „sehr gern ins Theater.“ Das abwechslungsreiche Programm ist schließlich auch die meistgenannte Antwort der Marktbesucher.

Das Ernst-Barlach-Theater in Güstrow

Gute Qualität und ein anspruchsvoller Spielplan zeichnen das Theater seit langem aus. Obwohl das Ernst-Barlach-Theater seit 1976 ein reines Gastspielhaus ist, also über kein eigenes Ensemble verfügt, überzeugt es mit einem Spielplan für jeden Geschmack. „Aber gerade weil kein eigenes Ensemble vorhanden ist, ist vieles möglich“, sagt Heidemarie Beyer.

Johanna Sandberg liegt besonders das Schauspiel am Herzen. Die Güstrower, so die Intendantin, begeistern sich allerdings mehr für klassische oder Pop-Konzerte. Zudem ist die Travestieshow sehr beliebt, schmunzelt sie. Shakespeare soll es demnächst aber trotzdem geben. Johanna Sandberg präsentiert dazu das neugestaltete Programmheft. Für die Spielzeit Januar bis Juni 2022 finden sich darin unter anderem Puppentheater und Musicals, Kabarett und Schauspiel, Rock- und Sinfoniekonzerte. Letztere finden seit den 1990er Jahren regelmäßig einmal pro Monat statt. Alleine hierfür bestehen 200 Abonnements. Die Güstrower wissen, was gut ist.

Gesellschaftlich aktiv

Damit auch die nachfolgenden Generationen von den vielen Möglichkeiten des Ernst-Barlach-Theaters überzeugt werden, hat der Theaterförderverein schon seit seiner Gründung das junge Publikum im Blick. Der Verein unterstützt ausgewählte Stücke für Kinder und Jugendliche und beteiligt sich an den Eintrittsgeldern. Zudem werden Busfahrten zu den Veranstaltungen finanziert. Die Kinder und Jugendlichen, die heute durch besondere Aktionen an das Theater herangeführt werden, sind die erwachsenen Theaterbesucher von morgen, glaubt Heidemarie Beyer.

Stolz ist Heidemarie Beyer auf die Organisation eines Theatertages im Rahmen des von der UNESCO ausgerufenen Welttags der kulturellen Vielfalt. Hierfür, so erzählt die Vorsitzende, werden Menschen unterschiedlichster Herkunft um einen künstlerischen Beitrag gebeten. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr ein emotionaler Auftritt eines syrischen Asylbewerbers, der Lieder aus seinem Heimatland vorgetragen hat. „Den Schwachen eine Stimme zu geben“ ist ein Anliegen von Heidemarie Beyer.

Theaterfreunde sorgen für gute Luft

Im holzgetäfelten Theatersaal hebt Johanna Sandberg die gute Akustik hervor: „Ein guter Schauspieler kann den ganzen Raum ausfüllen“. Von den rotgepolsterten Sitzen, die insgesamt 365 Menschen Platz bieten, hat jeder Besucher einen guten Blick auf die Bühne. Eher beiläufig fallen da ein paar Risse auf, die hier und da im Polster zu sehen sind. Kleinigkeiten, auf die Johanna Sandberg trotzdem hinweist. Das Haus ist eben nicht mehr ganz jung. Sehr jung ist hingegen die Klima- und Belüftungsanlage, die während der Vorführung für saubere Luft sorgt. Deren Einbau verdankt das Theater einer Initiative des Theaterfördervereins. 2004 hatte der Verein eine große Aktion gestartet, bei der gut 4.000 Menschen eine Gesamtsumme von über 71.000 Euro spendeten.

Erbaut aus Spendengeldern

Der Weg aus dem Theatersaal führt an den Porträts der Theaterinitatoren Carl Daniel Lönnies und Friedrich Piper vorbei, die 1828 die Stadtverwaltung von einem eigenen Theater für Güstrow überzeugten. Allerdings stellte die Stadtverwaltung eine Bedingung: Kostenlos sollte es das Grundstück und das Baumaterial nur geben, wenn die Bürger die Ausgaben für die Ausführung des Baus aus eigener Tasche zahlten.

Fabrikant Lönnies und Advokat Piper initiierten daraufhin eine Spendensammlung, die 596 Taler einbrachte. Carl Daniel Lönnies spendete die zusätzlich benötigten 165 Taler und die Bauarbeiten konnten beginnen. Sechs Monate später stand der klassizistische Bau nach Plänen des Schweriner Architekten Georg Adolf Demmler.

Als sich zum ersten Mal der Vorhang im Theater hob, erklärten Lönnies und Piper bewegt: „Was Bürgerstolz geschaffen, soll Bürgerstolz erhalten.“ Ein Motto, das das Theater seither begleitet.

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